Redner: Dr. David Hartmann
Demonstration am Dom zu Münster am 28.03.2021

“Herz und Hirn statt Machtmissbrauch“

Rede Dr. David Hartmann auf der Demonstration „Herz und Hirn statt Machtmissbrauch" vor dem Dom zu Münster am 28.03.2021, St. Stephanus Gemeinde Münster

Herz und Hirn statt Machtmissbrauch

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

liebe Interessierte,

was denken Sie, was hier eigentlich los ist? Denken Sie, dass hunderte Katholik*innen seit Monaten renitent nur gegen die Versetzung eines Priesters demonstrieren? Wie kleine Kinder, denen man den Lolli weggenommen hat trommeln wir nun mit unseren Fäusten auf dem Domplatz herum? Haben so viele junge Eltern, Männer und Frauen, Familien, Senioren und Jugendliche wirklich nichts Besseres zu tun?

Der Fall liegt anders. Denken Sie an die vergangenen 12 Monate. Es grassiert eine Jahrhundertpandemie, die alle von uns ohnehin bis an die Grenzen belastet und herausfordert.

Viele fragen sich: Wo ist die katholische Kirche in dieser Pandemie?

Die katholische Kirche befindet sich aufgrund eines Missbrauchsskandals in einer nie dagewesenen Glaubwürdigkeitskrise, die Termine bei den Amtsgerichten zur Erklärung des Kirchenaustritts sind in vielen Städten, so auch hier in Münster, Monate im Voraus ausgebucht.

In dieser Großwetterlage wird also ein erfolgreicher Seelsorger gegen den Willen der Betroffenen zum Juni zwangsversetzt. Verkündung im Advent. Jetzt kurz vor Ostern wird er fristlos schon zum 19. März weggejagt. Die Gemeinde trifft dies unvorbereitet und bis heute bleibt die Zwangsversetzung ohne konkrete Begründung.

Ist das kompetentes Krisenmangement? Sind das die Barmherzigkeit, die Nähe und die Güte, die angesichts der erdrückenden Probleme der Menschen angebracht gewesen wären? Wie weit sind die Oberhirten der Kirche von den Bedürfnissen der Menschen entfernt? Muss man sich möglichst weit von der Welt entfernen, um nah bei Gott zu sein?

Über diesen Priester, der selbst gesagt hat, dass er die Gemeinde nicht verlassen wollte, schreibt die Bistumsleitung: „Wir sind seinem Wunsch gefolgt“ und dass seine kurzfristige Zwangsversetzung „auch für ihn selbst wichtig“ sei. Ist das der Umgang mit der Wahrheit, wie ihn das Evangelium fordert, das da sagt: „wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit?“ Wirkt hier noch die Macht der Liebe?

Ein Handeln mit Herz sehen wir hier jedenfalls nicht.

So man denn überhaupt Gründe für das Handeln des Bistums erfährt, heißt es vage, es gehe um „personelle und strukturelle Gründe“. Uns steht mehr Transparenz zu. Welche personellen, welche strukturellen Gründe stehen dahinter? Werden hier Menschen der Struktur geopfert? Ist das nicht ein weiterer Verstoß gegen das Evangelium, das da sagt: „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat.“? Und wem nützt eigentlich dieser Irrsinn? Wozu sollte ein liberaler Geistlicher, der glaubhaft eine Sprache der Verkündigung für die Menschen des 21. Jahrhunderts gefunden hat, mit solcher Wucht unbarmherzig zwangsversetzt werden? Noch dazu an einen Ort, wo er nicht wie bisher Schulseelsorge und Gemeindetätigkeit verbinden kann und wo er nur in sehr geringem Umfang ein bereits gut aufgestelltes Team unterstützen kann?

Es wird immer klarer, dass die Irritationen um die Versetzung von Thomas Laufmöller einem Ringen zwischen konservativen und liberalen Kräften in unserer Großpfarrei geschuldet sind und somit unsere Pfarrei zum Schauplatz der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Konservativen geworden ist. Hier ein liberaler Priester, in dessen Verkündigung Diskussionen über Frauenpriestertum und die Segnung homosexueller Paare selbstverständlich Raum haben. Dort die konservative Gemeinschaft Emmanuel, die streng den Katechismus lehrt, inklusive der für viele Menschen schwierigen Anachronismen und Äußerungen beispielsweise zu Frauenpriestertum, Sexualität und Partnerschaft.

Kirchliches Lehramt und Kirchenrecht aber hinken der Lebenswirklichkeit der Menschen hunderte Jahre hinterher. Viele Menschen sind TROTZ und nicht WEGEN mancher lebens- und wissenschaftsfernen Lehren noch in der Kirche. Worauf es doch ankommt, ist, was vor Ort in den Gemeinden gelebt wird und dem Evangelium entspricht.

Aber was passiert, wenn nun derart einseitig in die Gemeinden vor Ort eingegriffen wird und ihre gewachsenen Strukturen und ihre kreative Dynamik ohne nachvollziehbare Gründe und ohne Perspektive zerstört werden?

Im Jahr des synodalen Weges wird nun dem liberalen Teil dieser Großpfarrei der Priester genommen und der Stephanusgemeinde die Schuld für diesen Emmanuel-Konflikt zugewiesen. Es entsteht zwangsläufig der Eindruck, dass dem Leib hier das liberale Glied abgetrennt werden soll und dass die Stephanusgemeinde unter Aufgabe ihrer Identität mit den Vorstellungen der Gemeinschaft Emmanuel gleichgeschaltet werden soll. Bischof Genn sagte selbst, er habe nun einen Schnitt gemacht und da müsse es eben bluten. Welches Verständnis von der Vielfalt der Geistesgaben und vom „gemeinsamen Priestertum aller Getauften“, wie es in Lumen gentium konstituiert wurde, legt der Bischof hier an den Tag?

Wir sagen: wir sind katholisch. Wir wollen alle Glieder des einen Leibes sein. Es braucht eine katholische Weite in unserer katholischen Kirche. Weltweit und auch hier in Münster. Eine katholische Weite, in der sich Christ*innen in einer konservativen Gemeinschaft Emmanuel UND in einer liberalen Gemeinde St. Stephanus wiederfinden können. „Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen.“ In unserer Großpfarrei St. Liudger aber ist das Kräfteverhältnis klar auf der Seite der konservativen Gemeinschaft Emmanuel. Sowohl in der Zahl der Priester als auch in anderen Machtpositionen. Diese Macht wurde vielfach missbräulich eingesetzt. Wie passt all dies zu der Äußerung unseres Bischofs, dass es eine „neue Machtverteilung in der Kirche“ brauche?

Die Bistumsleitung muss sich die Frage stellen lassen, warum sie in all den Jahren nach der Fusion nie eine Moderation und Mediation in St. Liudger eingesetzt hat, obwohl ihr doch Probleme bekannt waren. Wir Gläubigen in St. Stephanus haben das Gefühl, dass unser liberaler Glaubenssinn erstickt werden soll.

Zusagen gegenüber unserer Gemeinde wurden gebrochen. Langfristig geplante Gespräche wurden kurzfristig von der Bistumsleitung abgesagt. Anfragen an unsere Vertreterinnen im Pfarreirat wurden ignoriert. Ersuche über das Sekretariat der Großpfarrei wurden abgeblockt. Die Bistumsleitung hat erst versucht, uns zu ignorieren und dann, uns zu diskreditieren.

Ihre christliche und pastorale Pflicht wäre es aber gewesen, uns ernst zu nehmen.

Herz und Hirn statt Machtmissbrauch. Ein Handeln mit Herz sehen wir auch hier nicht. Aber wurde mit dem Hirn gehandelt? Ich bin kein Pastoraltheologe, ich habe keine Personal- und Führungsverantwortung in diesem Bistum. Aber ich kann lesen. Das Konfliktpotential zwischen neuer geistlicher Gemeinschaft und Pfarrei ist wissenschaftlich untersucht (1): Demnach erscheint die Ansiedlung einer neuen geistlichen Gemeinschaft genau dort schwierig zu sein, wo die Gemeinde – wie in St. Stephanus - ein anderes starkes theologisches Profil hat. Daher wäre von Beginn der Fusion an eine neutrale Supervision nötig gewesen. Pfarreien sollen sich nicht zu uniformierten Monokulturen entwickeln.

Aber auch für die nun am Boden liegende liberale Gemeinde St. Stephanus hat die Gemeinschaft Emmanuel ihre Lösung parat: Im von der Gemeinschaft propagierten Buch „Rebuilt” (2) wird erklärt, wie zerstörte Gemeinden neu-evangelisiert werden können. Offenbar muss man dazu eine lebendige Gemeinde erst zerstören. Ist es das, was die Gemeinschaft Emmanuel unter Missionierung versteht?

Unsere Gemeinde St. Stephanus war mit Thomas Laufmöller ein starkes Gegengewicht zur Gemeinschaft Emmanuel und zu den von ihr bereits geprägten anderen Gemeinden. Genau so hätte es unsere Gesamtpfarrei dringend gebraucht und so wäre es auch aus wissenschaftlicher Sicht erfolgversprechend gewesen. Unsere Gemeinde und Thomas Laufmöller hätten Unterstützung von der Bistumsleitung bitter nötig gehabt. Dass er nun derart gedemütigt wurde, heißt nichts Gutes für unsere Pfarrei und für unsere Kirche. Immerhin hat man in 23 von 27 Bistümern in Deutschland erkannt, dass es schwierig werden kann, wenn Pfarreien von neuen geistlichen Gemeinschaften geleitet werden. Vielleicht erkennt man dies nun auch endlich in Münster, damit der Emmanuel-Konflikt nicht nach St. Mauritz und St. Liudger wieder eine Neuauflage erhält.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: bewahrende und erneuernde, konservative und liberale Kräfte sollen sich gegenseitig inspirieren. Aber warum wird einer neuen geistlichen Gemeinschaft so viel Macht in einer Pfarrei gegeben? Es braucht einen umfassenden pastoralen Blick auf das große Ganze, um Vielfalt zu erhalten und Scheitern zu verhindern. Und im Falle des Scheiterns braucht es eine ehrliche Aufarbeitung und keine einseitige Schuldzuweisung.

Bleibt noch der Blick in die Zukunft. Gerne hätten wir mit der Bistumsleitung Zukunftspläne für St. Stephanus besprochen. Leider wurden die geplanten Gespräche kurzfristig vom Generalvikar abgesagt. Der nun begonnene sogenannte Moderationsprozess scheint sich hauptsächlich auf Formalia zu konzentrieren, damit die Pfarrei handlungsfähig bleibt. Bisher ist weder ein übergeordnetes pastorales Konzept noch eine Perspektive für die Gemeinde St. Stephanus erkennbar. Welche Pläne hat das Bistum mit der Gemeinschaft Emmanuel? Welche Pläne hat die Gemeinschaft Emmanuel im Bistum Münster?

Weihbischof Zekorn hat nun die Pfarreileitung vorübergehend übernommen. Auch er hat ein Buch geschrieben (3). Der Titel: „Der ,Heilige Rest?´ – Christliche Gemeinde und ihre Zukunft“. Ich konnte es bisher leider noch nicht lesen, der Titel macht aber neugierig. Ob er Gutes für uns verheißt? Ich weiß es nicht. Es gilt also: Fortsetzung folgt. Bleiben wir aufrecht. Gottes Ruhm ist der freie Mensch.

 

Aufgestellt und verlesen:

Dr. David Hartmann

  

Literatur:

(1) A. Gessmann, „Chance oder Störfaktor? Die Beziehung zwischen neuen geistlichen Bewegungen und Pfarrei“, Verlag Friedrich Pustet, 2015

(2) M. White, „REBUILT - Die Geschichte einer katholischen Pfarrgemeinde: Gläubige aufrütteln - Verlorengegangene erreichen - Kirche eine Bedeutung geben“, Pastoral Innovation, 2018

(3) S. Zekorn, „Der Heilige Rest? Christliche Gemeinde und ihre Zukunft“, Butzon & Bercker, 2007

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Rede Alexandra Fröhlich-Schulte