Vorgeschoben? un-widerlegbar!
Sehr geehrter Dr. Winterkamp,
wir entschuldigen uns, erst jetzt dazu zukommen, auf Ihre sehr kurzfristige Absage zu unserer Veranstaltung am letzten Sonntag zu antworten.
Sie schrieben uns:
Am Sonntag haben Sie einen Demonstrationszug zum Domplatz mit einer großen Gruppe aktiver Gemeindemitglieder aus St. Stephanus angekündigt. Herr Render hat mir freundlicherweise Ihre Mail mit dem für Sonntag vorgesehenen Inhalt der Veranstaltung zukommen lassen.
Herr Render hat verständlicherweise keine Lust mehr auf uns oder die Thematik. Das verstehen wir vollkommen. Auch wir Protestler machen uns nicht gerne unbeliebt. Aber wenn es einem wichtig ist, braucht es ein gewisses Maß an Konfliktfähigkeit. Und es scheint immer wichtiger zu werden! Aber eigentlich wollten wir auch weder Sie, noch Herrn Render, sondern Ihren Chef sprechen…
Wie Sie wissen, ist der Bischof von Münster bei der geplanten Versetzung von Pfarrer Laufmöller geblieben. Diesbezüglich sind zwischenzeitig verschiedene Gespräche geführt worden.
Nur mit keinem von uns oder der Gemeinde (lediglich mit dem Pastoralteam und dem Pfarreirat, der die Gemeinde nicht mehr zu repräsentieren vermag). Sie schreiben doch selbst gerne, man muss mal andere Perspektiven einnehmen. Unsere Perspektive von der Bistumsseite ist derzeit: Schweigen unterbrochen von Fake news zum Zwecke der Diskreditierung unerwünschtem Protests.
Wie Sie ebenfalls wissen, steigen derzeit sowohl die Infektionszahlen als auch die Zahl der im Zusammenhang mit der Coronapandemie sterbenden Menschen erheblich an. Das Land und der Bund planen deshalb schon für die nächste Woche einen erneuten totalen Lockdown. Das Land möchte bereits ab Montag den Kita- und Schulbetrieb deutlich zurückfahren. Seit heute Morgen sind wir mit der Politik im Gespräch über die Gestaltung der Weihnachtsfeiertage.
Wie praktisch, Corona kommt einem in dieser Lage quasi wie gerufen.
Aber schauen wir mal genauer hin: die hiesige Inzidenz für den Zeitpunkt Ihres Schreibens war 74 pro 100.000 Einwohner (am Tage der Veranstaltung 84). Und damit wohl die Niedrigste im ganzen Land. Sie waren beschäftigt, um mit dem Land die Gestaltung der Weihnachtsfeiertage zu besprechen. Wir wissen, was dabei heraus gekommen ist:
Sie verweisen auf Ihr Hygienekonzept und halten an Gottesdiensten in den Kirchen bis 250 Personen fest. In Großkirchen darf sogar davon abgewichen werden. Gottestdienste, die draußen stattfinden dürfen gar bis 500 Personen abgehalten werden (und zwar ohne Registrierung der Anwesenden). Also quasi wie bei einer Demo…?
Da der Bischof am vergangenen Samstag bereits mit Pfarrer Laufmöller und am vergangenen Donnerstag mit den Vertretern und Vertreterinnen der Gremien und des Seelsorgeteams der Pfarrei gesprochen hat, und zudem terminlich gebunden ist, werden Sie am kommenden Sonntag Ihre Anliegen nicht zu ihm tragen können. Statt seiner wäre ich gekommen. Doch bitte ich angesichts der dramatisch ansteigenden Infektionszahlen und der politischen Implikationen wegen um Verständnis, wenn ich Sie hiermit wissen lasse, dass am Sonntag weder ich noch ein anderer Vertreter der Bistumsleitung zum Gespräch auf dem Domplatz anzutreffen sein wird. Ich bitte Sie auch noch einmal zu überdenken, ob die Demonstration derzeit wirklich stattfinden muss. Fridays for Future hat etwa heute auf die Demonstration mit vielen Menschen auf dem Prinzipalmarkt verzichtet. Sie selbst haben, wenn ich es richtig weiß, unter anderem vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie die ursprünglich bereits für den 6.12. geplante Demonstration abgesagt. Die Pandemie-Lage hat sich aber seitdem leider deutlich verschärft.
Die Organisatoren der Demo hatten ein Hygienekonzept entwickelt und dieses auch mustergültig umgesetzt. Es waren 350 Kreuze auf den Domplatz mit ausreichend viel Platz zum nächsten Kreuz. Ein Kreuz für jeden Demonstranten! Auf dem Protestzug wurden der Abstand durch 1,50 m lange Flatterbänder sichergestellt. Fridays for Future hatte mit einer ungleich größeren Menge an Demonstranten gerechnet. Und nein, die Absage am 6.12. erfolgte nicht wegen Corona, sondern im etwas naiven Glauben, das Bistum wäre an einem Dialog auf Augenhöhe interessiert und in der Hoffnung auf einen positiven Prozess, der durch die Veranstaltung nicht gefährdet werden sollte.
Das Ansteckungsrisiko auf der Demonstration lag aus unserer Sicht etwa auf dem Level eines sonntäglichen Spaziergangs um den Aasee und ist in keiner Weise mit dem Risiko in einer Kirche mit 250 Personen vergleichbar. Ich muss Ihnen nicht erläutern, welche Rolle Aerosole bei der Ansteckung spielen und, dass es diesen möglich ist, sich über Stunden in der Kirchengebäudeluft zu halten (ohne ausreichende Lüftung).
Meine Bitte mag Ihnen vielleicht vorgeschoben erscheinen. Ich bin gerne bereit, zu einem späteren Zeitpunkt über die vielen von Ihnen auf die Agenda gesetzten – und ohne Zweifel diskussionswürdigen – Fragen mit Ihnen zu reden. Die Themen werden auch über den kommenden Sonntag hinaus aktuell blieben und auch ohne den Hintergrund der konkreten Personalentscheidung nichts an Bedeutung verlieren.
Ja und ja! Ja, Ihre Bitte ist vorgeschoben und zwar unwiderlegbar. Und Ja, die Themen werden nicht an Bedeutung verlieren, wenn Sie nicht mit uns in Dialog treten. Und hatten Sie auch schon Zeit, einen Blick in den Kalender Ihres Chefs zu werfen? Wäre es nicht ein Zeichen von Glaubwürdigkeit, nun einen Termin von Ihrer Seite vorzuschlagen?
Aber vor dem beschriebenen Hintergrund scheint mir eine Demonstration und eine Diskussion mit einer großen Menschengruppe über diese Fragen zum derzeitigen nicht notwendig und zudem zu risikoreich. Im Bistum bemühen wir uns derzeit sehr stark darum, alle nicht unbedingt notwendigen Veranstaltungen – wie es die Coronaschutzverordnung vorsieht – nicht durchzuführen.
“Nicht notwendig”? Aus Ihrer Sicht ist die Demonstration lästig, das ist uns klar. Haben Sie sich einmal mit dem Inhalt unserer Demonstration beschäftigt? Die Causa Laufmöller ist eine Sache. Unsere Reaktion auf das Gebaren des Bistums eine andere - und das kann ich nicht stark genug unterstreichen - die mittlerweile bei Weitem notwendigere.
Auf keinen Fall möchte ich, dass dem Bistum der Vorwurf gemacht werden könnte, es habe seinerseits nichts unternommen, um eine derzeit nicht unbedingt gebotene Veranstaltung, die – wie angekündigt – große Menschengruppen zusammenbringt (auch wenn sie nicht vom Bistum selbst getragen oder verantwortet wird) zu vermeiden.
Dass dieses nur ein weiteres Scheinargument ist, ist Ihnen glücklicherweise noch selbst aufgefallen. Aber was kann man auch schreiben, um einen unplausiblen Vorgang plausibel zu machen. Ich bin froh, nicht in Ihrer Lage zu sein.
Nochmals bitte ich aus den geschilderten Gründen um Verständnis für meine Absage. Wie gesagt: Ich bin gesprächsbereit, aber am Sonntag geht das leider nicht.
Mit den besten Wünsche für den 3. Advent grüßt Sie
Klaus Winterkamp