Rednerin: Birte Koling
Demonstration am Dom zu Münster am 13.12.2020
Appell der Jugend an den Bischof
Sehr geehrter Bischof Dr. Felix Genn, liebe Gemeindemitglieder von St. Stephanus, liebe Mitstreiter!
Tragt in die Welt nun ein Licht!
Die Kirchengemeinde St. Liudger fordert uns mit einem Kerzengruß in der Adventzeit auf: Tragt in die Welt nun ein Licht - ein Licht der Hoffnung, ein Licht der Zuversicht, ein Licht gegen die Dunkelheit auf dem Weg zu Weihnachten, dem Fest der Liebe.
Zu uns in St. Stephanus wurde das Licht aber nicht gebracht. Unsere Flamme wurde erstickt.
Überall trifft man aufgewühlte Menschen, diskutierende Menschen, fassungslose Menschen. Menschen aller Altersstufen, in Tränen aufgelöst. Der Weg zum Fest der Liebe hat sich in einen Weg des Schocks, der Trauer und als Sturz aus allen Wolken entwickelt.
Es mag möglich sein, einen Seelsorger aus einer Gemeinde versetzen zu müssen. Es mag auch in der Macht eines Bischofs liegen, einen Seelsorger gegen seinen Willen und gegen den Willen seiner Gemeinde zu versetzten. Aber dies unerklärt, für uns unerklärbar, zum 1. Advent, mitten in der Hoffnungslosigkeit einer Jahrhundertpandemie zu tun– das trifft uns besonders hart. Meinen Sie nicht, dass diese Zeit schon schwer genug für alle ist? Die Kirche soll für die Menschen da sein. Wo bleibt da Ihre Liebe? Wo bleibt da Ihr Licht?
Schauen Sie sich uns Jugendliche an, sehr geehrter Herr Dr. Genn! Wir sind im Augenblick ganz besonders auf beständige seelsorgerische Hilfe angewiesen.
In diesem Jahr wurde uns die Ausübung von Hobbies verboten, das Treffen mit Freunden untersagt, Schulen werden nun wieder geschlossen und jetzt wollen Sie uns noch das einzig Beständige nehmen? Wir haben, so wie Sie es gesagt haben „noch keine Vorstellung davon, was das alles gesellschaftlich für Konsequenzen hat.“
Denn nicht nur uns Jugendliche trifft es dieses Jahr hart. Nein alle. Senioren genauso wie Kindergartenkinder, Familien genauso wie Einzelpersonen. Wo bleibt da Ihre Empathie? Wo bleibt da die Liebe?
Uns in St Stephanus wird noch viel mehr fehlen als unser Seelsorger Thomas Laufmöller: Viele von uns verlieren ihre beständige Bezugsperson zur katholischen Kirche. Ihre Brücke zum katholischen Glauben. Und ohne beständige Bezugsperson ist es gerade für junge Menschen unmöglich, eine Brücke allein zu bauen. Wenn für uns die Kirche kein bekanntes Gesicht mehr hat, könnten wir auch einfach, anonym die Nummer gegen Kummer wählen. Besonders wir Jugendliche brauchen persönliche Bindung.
Der Gedanke, dass wir durch die Kirche Bindung zum Glauben erfahren, ist dann aber zerschlagen. Uns bleibt vielleicht nur der persönliche Glaube. Die Sinnhaftigkeit der Institution „Kirche“ wird dann zurecht von Menschen jeden Alters angezweifelt werden. Wir haben sie bisher verteidigt. Nun erscheint auch einigen von uns der Kirchenaustritt als einzig logische Konsequenz.
Eigentlich Herr Dr. Genn durften wir in St Stephanus eine katholische Gemeinde erleben, in der sich die Frage der Sinnhaftigkeit der Kirche nicht stellte. Bei uns wurde der Glaube in der Gemeinde gelebt und dies über die Position des Pastors vermittelt. Vermittelt durch ein persönliches, nicht austauschbares Gesicht. Durch ein Hirten, der jedes seiner Schäfchen kannte. Jeder Mensch wurde hier in seiner Individualität und mit seinen Talenten gesehen. Wir wurden integriert und motiviert. Unsere gelebte, lebendige Gemeinde hat Glauben auf zwei Beinen erfahren. Unsere Gottesdienste sind immer noch gut besucht. Etwas, das man nicht von jeder Gemeinde in Münster behaupten kann.
Einzigartig ist ebenfalls, wie jung unsere Gemeinde ist! Wir haben eine beeindruckende Messdienerzahl, einen Jugendliturgiekreis und außerdem Gruppenstunden, die Kinder und Jugendliche aus ganz Münster einbinden, zusätzlich Sternsinger, die tatsächlich noch von Haus zu Haus ziehen und „göttliches Wohlgefallen“ wünschen. In den wöchentlichen Messen sind so viele Kinder und Jugendliche, dass dies selbst dem Personaldezernenten Herrn Render aufgefallen ist.
Wir Kinder und Jugendliche sind die Kirche von morgen. Auch Ihr wichtigstes Anliegen ist, wie es auf Ihrer Internetseite steht, „Junge Menschen im christlichen Glauben zu bestärken“. Aber wie passt dazu, dass Sie uns unsere Brücke zum katholischen Glauben einreißen und riskieren, dass wir uns abwenden? Wir brauchen Sie und Sie brauchen uns!
Doch stattdessen setzten Sie ein Zeichen gegen eine junge, funktionierende und lebendige Gemeinde.
Betrachten wir die Kirche einmal wie Ihr Personaldezernent als „Firma“. Auch dann ist das Verhalten unsinnvoll.
Was könnte es Schlimmeres für eine Fima geben, als Kunden, die sich zunehmend abwenden? Was könnte es Schlimmeres für eine Firma geben, als dass die größte Einnahmequelle in sich zusammenfällt?
67% der Einnahmen der katholischen Kirche sind Kirchensteuern. Oder aus der Sicht einer Firma: 67% Ihrer Existenz beruhen auf Kundenzufriedenheit.
Im Bistum Münster lebten 2016 rund 1,6 Mio. Katholiken. Die größte Gruppe dabei sind die
50-55-jährigen. Die 30-35-jährigen, die Hauptsteuerzahler von morgen, sind nur etwa halb so viele. Die Ursachen: 20% demografischer Wandel, 30% Kirchenaustritte. Allein 2019 waren es mit einem neuen Rekord im Bistum Münster 16 000.
Wie Sie es in Ihrem Finanzbericht beschreiben, ist es deshalb „Umso wichtiger (…), rückläufige Entwicklungen nicht einfach nur hinzunehmen, sondern als Herausforderung zu sehen und zu gestalten.“ Weiter heißt es „notwendige Veränderungsprozesse sachgerecht (zu) gestalten“. Konkret würde dies bedeuten, Menschen aktiv für die Kirche zu motivieren, Kunden zu begeistern.
In St. Stephanus konnten wir bislang Kundenbegeisterung erfahren.
Doch Herr Dr. Genn: Jetzt wurde Ihre Kundschaft verärgert.
Unser Vertrauen wurde verspielt und gebrochen. Gereichte Hände, wie am vergangenen Wochenende, wurden ausgeschlagen. Fragen werden ignoriert. Die Wahrheit wird verdreht. Die Demonstrierenden, als beleidigender Pöbel angesehen. Dabei stehen hier verletzte Gläubige auf der Suche nach dem Wert der Kirche.
Das eigentlich Tragische dabei ist, Herr Dr. Genn: Es gibt nur Verlierer. Wir stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen. Ohne Seelsorger, mit gegenseitigen Vorwürfen, gegenseitigen Anschuldigungen und übler Nachrede. Hinter vorgehaltener Hand wird über gezieltes Mobbing berichtet. Der Ruf der Gemeinschaft Emmanuel ist geschädigt. Unser Pfarreirat hat sein Vertrauen verspielt. Das alles eingebettet in einer Missbrauchskrise der katholischen Kirche. Wie sollen wir denn so wieder zusammenarbeiten können?
Mit Vertrauen. Um den Scherbenhaufen beseitigen zu können, bedarf es an Vertrauen. Vertrauen zueinander. Vertrauen zur Kirche und Vertrauen zu Ihnen, Herr Dr. Genn. Vertrauen insbesondere in dem Punkt, dass vergangene Entscheidungen umsichtig gefällt wurden.
Denn bei all dem, was in den letzten Wochen gesagt und geschrieben wurde, bleibt immer noch die eigentliche Frage unbeantwortet: Warum? Warum musste Thomas Laufmöller gehen? Warum nimmt man einem Menschen willentlich seine Heimat? Warum lässt man eine Gemeinde ohne Perspektive zurück? Warum riskieren Sie, dass junge und aktive Menschen sich von der Kirche abwenden? Warum nutzen sie nicht die Energie dieser aktiven Gläubigen und bauen eine Kirche des 21. Jahrhunderts auf? Wir wollen Aufklärung!
Und wir wollen Vertrauen.
Das Wort Vertrauen enthält das Wort „Trauen“- Sich trauen, Advent, Aufbruch. So wie Maria und Josef. Zu etwas Neuem, etwas Großartigem.
Wir sind heute zu Ihnen aufgebrochen. Wir haben uns getraut. Denn wir wünschen uns einen Dialog auf Augenhöhe. Trauen nun Sie sich, Ihre Worte in Taten umzusetzen. Wir Menschen wollen sehen:
„Da ist ein Bischof, da ist ein Priester, da ist ein Christ, der lebt, was er sagt.“