Redner: Martin Schulte
Demonstration am Dom zu Münster am 13.12.2020

“Bewegende Fragen“

Hier finden Sie beide Teile der Rede als Videoclip:

Liebe Brüder und Schwestern im Glauben,

sehr geehrter Herr Bischof Felix Genn,

leider erreichte uns am Freitagabend die Nachricht, dass aufgrund der pandemischen Situation heute kein Vertreter des Bistums Münster hier zugegen sein würde, um sich unsere drängenden Anliegen anzuhören. Dass gleichzeitig weiterhin Gottesdienste im Paulus-Dom und anderen Kirchen, sowie Gespräche hinter verschlossenen Türen ohne uns Christen an der Basis stattfinden, beweist nur die Doppelzüngigkeit, mit der gegenüber der Presse unsere basiskirchliche Bewegung diskreditiert wird.

Wie wir aus der Presse erfuhren, fanden auch in der letzten Woche wieder Gespräche mit Ihnen, Bischof Genn, hinter verschlossenen Türen in unserer Pfarrei statt. Dieser Protestzug hätte also leicht verhindert werden können, wenn von uns benannte Vertreter und Vertreterinnen ebenfalls zu Gesprächen geladen gewesen wären. Somit steht die Durchführung dieses Protestes auch in Ihrer Verantwortung, Bischof Genn. Dass zudem der Zeitpunkt der Verlesung des Bischofsbriefes mit der Abberufung von Pfarrer Laufmöller am 1. Advent mitten in der Pandemie auch aus gesundheitlichen Gründen vom Bistum Münster extrem unglücklich gewählt ist, ist einer unserer zentralen Kritikpunkte. Nun so zu tun, als sei die Dialogverweigerung des Bistums vorrangig durch Pandemiesorgen geprägt, ist scheinheilig. Wir haben unseren Protest den Bedingungen angepasst, kommen in geringerer Anzahl, wir halten Abstände ein, wir verzichten auf Gesang, treffen uns hier unter freiem Himmel und tragen Masken. Der Besuch dieser Demonstration dürfte nicht gefährlicher sein als der Besuch eines Gottesdienstes im Hohen Dom zu Münster. Oder nehmen die Herren der Bistumsleitung auch daran nicht teil?

Wir sehen es aber als unsere christliche Pflicht an, auf die drängenden Missstände in der katholischen Kirche, die sich auch an der Abberufung unseres Seelsorgers Thomas Laufmöller exemplarisch zeigen, hinzuweisen. Durch die Liturgie vom vergangenen 2. Advent „was krumm ist soll gerade werden“ und die zahlreichen positiven Stimmen, die auch von außerhalb an uns gerichtet wurden, fühlen wir uns in unserer Haltung bestätigt. Wir stehen heute hier auf dem Domplatz, damit auch unser Teil des sensus fidei fidelium, des „Glaubenssinns der Gläubigen“, wie er im 2. Vaticanum formuliert wurde, Gehör und Respekt findet. So entscheiden auch die gläubigen Laien durch die „Einhelligkeit der Glaubenden“, welche Lehre und welche Praxis zum apostolischen Glauben gehören. Wir haben die Einhelligkeit der Glaubenden eindrucksvoll durch eine Unterschriftenliste mit über 1000 Einträgen, die in 5 Tagen gesammelt wurden, demonstriert. Ich habe einige unserer Punkte herausgegriffen:

Erstens: Unser Gott ist ein persönlicher Gott. Er hat sich in der Geschichte der Christenheit den Menschen persönlich offenbart, hat persönlich in der Gestalt Jesu Christi unter uns gelebt und hat persönliche „Wunder“ an den Menschen getan. Die gesamte Hierarchie der katholischen Kirche ist auf Personen ausgerichtet: Der Papst, die Kardinäle, die Bischöfe sollen als „gute Hirten“ auch in persönlichem Bezug die Glaubenden führen. Insbesondere sollten alle Ihnen anvertrauten Priester sowie alle übrigen Seelsorgerinnen und Seelsorger durch den Bischof Fürsorge und Förderung ihrer vielfältigen Begabungen erfahren. Gerade am Beispiel von Thomas Laufmöller haben junge Menschen erfolgreiche Seelsorge erlebt. Nur an solchen Beispielen wird in diesen Menschen der Wunsch aufkommen können, vielleicht selbst einmal als Priester oder Laie in der Seelsorge zu arbeiten. Wenn sie nun aber zusehen müssen, wie mit den Schutzbefohlenen gegen den Willen aller Beteiligten umgegangen wird, so werden sie sich sehr gut überlegen, ob sie diesen Wunsch realisieren werden. Wird nicht so der Priestermangel weiter forciert? Warum wird mit den Früchten langfristiger und erfolgreicher Seelsorge, die auf tiefgehender persönlicher Beziehung aufbaut, nicht sensibler und wertschätzender umgegangen? Warum wird bei Veränderungen nicht gemeinsam mit allen unmittelbar Betroffenen nach neuen Wegen gesucht?

Zweitens: Jesus Christus persönlich hat laut den Überlieferungen der Evangelisten die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel gejagt und ihre Tische umgestoßen. Er will nicht, dass unsere Kirche schlussendlich wie eine Firma geführt wird, wie es etwa Ihr Personaldezernent betont hat. Natürlich bedarf es gewisser organisatorischer Rahmenbedingungen, aber die Strukturen unserer Kirche und unseres Glaubens dürfen nicht höher stehen als die Glaubensinhalte und die Menschen, die in der Kirche leben. Wenn Jesus sagt: „Der Sabbat ist für den Menschen da“, meint er genau das: die Kirche soll den Gläubigen gute Rahmenbedingungen schaffen. Dabei dürfen keineswegs Strukturerhalt oder Strukturpläne zum Selbstzweck werden. Selbstzweck ist es aber, wenn die Versetzung eines Pfarrers nur erfolgt, um eine 2016 begonnene Gemeindefusion abzuschließen - und dies noch unter Abänderung ursprünglich gegebener Zusagen. Wie können Sie als Bischof dafür sorgen, dass die Kirche in Zukunft nicht nur eine Firma wie jede andere ist, die inhaltsleer nur einem strukturellen Selbstzweck dient?

Drittens: Wie Lukas Speckmann von den Westfälischen Nachrichten richtig kommentiert, ist ein zentrales Anliegen von Laienbewegungen wie z. B. der KfD, Maria 2.0 oder eben auch uns, dass wir ein Recht auf Mitsprache und Mitwirkung in der Kirche einfordern. Unser Gemeindekonzept in St. Stephanus und damit die versprochene „Vielfalt der Gemeinden“ wurde durch Sie, Bischof Genn, aufgelöst, ohne uns dazu zu befragen. Die Kirche soll laut dem Apostel Paulus ein Leib aus vielen Gliedern sein. Wir wurden aber vom Leib abgetrennt. Darunter leidet nun der gesamte Leib. Wie kann in Zukunft Laienpartizipation im Bistum Münster besser gelebt werden?

Viertens: Um den Dialog mit den Gläubigen offen führen zu können und damit deren „Glaubenssinn“ überhaupt erst erfahren zu können, braucht es eine ehrliche kirchliche Kritikkultur. Den Gläubigen muss es möglich sein, offen und ehrlich sachliche Kritik zu äußern, ohne dass diese als Diffamierung abgekanzelt wird oder sogar negative Folgen für die von der Kirche abhängigen Gläubigen hat, so wie es in unserer Sache in den letzten Wochen geschehen ist. Wie kann eine solche kirchliche Kritikkultur aufgebaut werden, damit die Echokammern in den kirchlichen Institutionen aufgebrochen werden und Entscheidungsträger ein differenziertes Bild erhalten können?

Fünftens: Wir freuen uns darüber, dass Sie, Bischof Genn, den Synodalen Weg mitgehen wollen.

Das Synodalforum 1 hat die große Konzentration von Macht in der katholischen Kirche als eine der Bedingungen für Machtmissbrauch benannt. Das Forum fragt, was getan werden muss, um Machtabbau und eine Verteilung von Macht zu erreichen. Auch wir in St. Stephanus haben in den letzten Wochen schmerzlich erfahren müssen, wie ohnmächtig man sich fühlen kann, wenn Macht ohne Transparenz, Teilhabe und Kommunikation ausgeübt wird – ganz zu schweigen und gar nicht zu vergleichen mit Schmerz und Leid der Opfer durch den Machtmissbrauch in Form von sexualisierter Gewalt. Was wird im Bistum Münster getan, um gemäß dem Synodalen Weg Macht abzubauen, zu verteilen und Machtmissbrauch zu verhindern?

Und ein sechster und letzter Punkt: Wir gläubigen Katholikinnen und Katholiken, die wir kritisch denken und Kirche gestalten wollen, sind kein pöbelnder Mob. Wir möchten mit unseren Kindern gern in dieser Kirche leben und unsere Talente für sie einsetzen, aber wir werden von Ihnen mit unseren Sorgen und Nöten alleingelassen. Der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz hat in einem Interview gegenüber der ZEIT gesagt: „Hirten der Kirche dürfen nicht hart werden […] Härte ist nicht Stärke! Sie ist Erstarrung und das spüren die Leute, es ist ihnen widerwärtig.“ Darum möchte ich mit einem Appell an Sie enden:

Bewegen Sie unsere Fragen in Ihrem Herzen, denn „eine Kirche wird nur das retten, was die Menschen auf Dauer annehmen und verstehen“, sonst werden sie sich von ihr abwenden.

Wir wünschen uns allen einen gesegneten Dritten Advent und einen ehrlichen Weg zum Frieden.

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Rede Barbara Kneißler